„Mit der Arbeit ein Zeichen setzen“ – Interview mit Dr. Dorit Wilke-Lopez
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Dr. Dorit Wilke-Lopez ist Fachärztin für Gynäkologie und Psychotherapeutin und lebt in Köln-Neuss. Sie ist zum ersten Mal bei einem Einsatz von Medical Mission Network dabei. In dem Interview spricht sie über ihre Motivation, ihre Erfahrungen der letzten Tage und über die Zweifel, die sie anfangs hatte.

Du hast mir erzählt, dass du schon vor längerer Zeit von unseren Einsätzen gehört hattest. Am Anfang warst du trotzdem skeptisch – warum?

Dr. Dorit Wilke-Lopez mit ihrer Übersetzerin Irmela Lucas.
Dr. Dorit Wilke-Lopez mit ihrer Übersetzerin Irmela Lucas.

Dr. Dorit Wilke-Lopez: Ich kenne Pater Bennet schon lange und habe oft mit ihm über Medical Mission Network gesprochen. Ich habe mich allerdings gefragt, warum ihr ausgerechnet in Länder wie Mexiko oder Brasilien reist. Dort gibt es doch ein staatliches Gesundheitssystem. Ich dachte, dort medizinische Hilfe anzubieten – das ist ja, wie Eulen nach Athen zu tragen. Mir ist dann aber klargeworden, daß nicht alle Leute Zugang zu diesen Gesundheitssystemen haben. Solche Menschen brauchen unsere Unterstützung. Pater Bennet sagte außerdem, es gehe darum, ein Zeichen zu setzen. Unsere Arbeit ist ein Zeichen der Zuwendung und der Liebe. Sie ist also auch eine Geste, die ihren Wert in sich selbst hat. Man darf sich nicht immer nur von der Frage leiten lassen, ob das, was man tut, effizient ist. Es ist für die Menschen hier wichtig, daß sie von uns Wertschätzung erfahren.

Ist das dein erster medizinischer Hilfseinsatz oder hast du schon vorher ähnliche Erfahrungen gemacht?

Dr. Dorit Wilke-Lopez: In Studienzeiten war ich drei Monate in Kolumbien und habe eine Ordensschwester begleitet. Sie hatte mehrere kleine Praxen, zwischen denen sie hin und herpendelte. Ich finde es immer spannend, nicht als Tourist in ein Land zu reisen, sondern durch eine Tätigkeit eng mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Mein Studienziel war es eigentlich, in ein Entwicklungsland zu gehen. Dafür wollte ich Ärztin werden. Das hat aber nicht geklappt, ich bin in Deutschland geblieben und habe eine Familie gegründet. Der Einsatz hier ist für mich ein riesiges Geschenk. Vielleicht klingt es etwas hochgegriffen: Aber er ist die Erfüllung eines Lebenstraums. Es ist sicher nicht das letzte Mal, daß ich mitfahre.

Was fällt dir an der Arbeit hier besonders auf?

Dr. Dorit Wilke-Lopez: Man hat viel Zeit, mit den Leuten zu reden und ihnen alles zu erklären. Das sind sie nicht gewöhnt, und sie schätzen es sehr. Ich hatte auch schon einige traurige Fälle: zum Beispiel eine 26jährige Frau, die mit 19 an Eierstockkrebs erkrankt war. Sie hatte seit zwei Jahren keine Kontrolluntersuchung, weil sie ihre Krankenversicherung verloren hatte und sich keine andere leisten konnte. Bei einer anderen Patientin wurde ein Knoten in der Brust festgestellt. Sie hatte kein Geld, das nachkontrollieren zu lassen, und hatte deshalb große Angst. Besonders fällt es auf, daß die Frauen hier oft sehr dick sind und deshalb Zyklusstörungen haben. In Deutschland nehmen viele Frauen die Pille, was Zyklusstörungen überdeckt. Hier nimmt fast niemand die Pille, deshalb sind diese Störungen nicht maskiert. Zur Verhütung haben sich viele Frauen Spiralen einsetzen lassen – und lassen diese nicht oft genug kontrollieren.

Ich kann mir vorstellen, daß ihnen gar nicht bewußt ist, wie wichtig Kontrollen sind. Von deinen Kollegen habe ich schon öfter gehört, daß die Menschen hier nur wenig Wissen über ihren Körper besitzen. Ist das auch dein Eindruck?

Dr. Dorit Wilke-Lopez: Ja, auf alle Fälle. Wenn ich hier etwas erklären will, helfe ich mir oft mit Zeichnungen. Ich male den Frauen auf, was der Uterus ist, was Eileiter sind und so weiter. Ob sie das alles richtig verstehen, weiß ich nicht genau.

Wenn du jetzt eine Zwischenbilanz ziehen solltest: Wie würdest du den Einsatz beurteilen? Entspricht er den Erwartungen, die du vorher hattest?

Dr. Dorit Wilke-Lopez: Ich bin sogar positiv überrascht. Ich hatte vorher manchmal Bedenken, weil ich befürchtet hatte, daß die Arbeit mit religiöser Missionierung verbunden sein könnte. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Im Team sind nicht nur Katholiken, mitmachen kann jeder, der unsere Werte teilt. Es beeindruckt mich, wie gut alle im Team zusammenarbeiten. Vor ein paar Tagen war bei der Rückfahrt vom Einsatzort, am späten Abend, der Wagen mit den Medikamenten kaputtgegangen – ein Benzinschlauch war gerissen. Alle haben versucht, eine Lösung zu finden. Die Männer sind unter das Auto gekrochen, die Frauen haben telefoniert, um einen Mechaniker zu erreichen. Am Ende haben die beiden Apotheker gesagt: Wir bleiben beim Auto und ihr könnt nach Hause fahren. Sie haben dann in dem Wagen übernachtet. Als wir einmal bis nachts um eins unterwegs waren, hat sich auch keiner beklagt. Es berührt mich außerdem sehr, wie engagiert die Helfer in den Gemeinden unsere Einsätze vorbereiten. Das ist sicher so viel Arbeit, wie ein Pfarrfest zu organisieren. Das alles machen die Leute ehrenamtlich, ohne Bezahlung. Das ist eine Form der Hingabe, die ich bewundere.