„Beratung ist eine unserer wichtigsten Aufgaben“ – Interview mit Dr. Gerhard Klein
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Der Neurologe und Psychiater Dr. Gerhard Klein war von Anfang an bei jedem Einsatz von Medical Mission Network dabei, in Mexiko wie auch in Ghana und Brasilien. Seine Patienten in Quintana Roo nennen ihn liebevoll „Dr. Chichan" - „chichan" heißt in der Sprache der Maya „klein". In einem Interview berichtet er von seinen Erfahrungen.

Dr. Gerhard Klein
Dr. Gerhard Klein

„Heute endet unser Einsatz hier. Sie bleiben noch länger - allerdings nicht, um Urlaub in der Karibik zu machen. Was haben Sie noch vor?"

„Zuerst werde ich ein paar Tage lang in Playa del Carmen in der Rot-Kreuz-Station arbeiten. Dort treffe ich mit einigen jungen Ärzten zusammen, die ich gerne für Medical Mission Network gewinnen würde. Danach werde ich zwei Wochen lang in einem amerikanischen Team von unserer Partnerorganisation Helping Hands arbeiten. Die Arbeitsweise ist genauso wie unsere: Wir werden von Dorf zu Dorf fahren und dort unsere Hilfe anbieten. Zu Überschneidungen wird es nicht kommen, denn das amerikanische Team bereist andere Dörfer, als wir in den letzten Wochen bereist haben. Mit einer Ausnahme: Chunhuhub. Dieses Dorf ist zentral gelegen und auch für die Einwohner vieler umliegender Dörfer gut zu erreichen. Da kommen immer sehr viele Patienten hin."

„Sie waren schon auf mehreren Einsätzen in dieser Gegend. Welche Krankheiten diagnostizieren bzw. behandeln Sie hier häufig?"

„Frühkindliche Hirnschäden, aus denen Lern- und Verhaltensstörungen resultieren, Epilepsie, Folgen von Hirn- oder Rückenmarksverletzungen, Muskelerkrankungen. Auffällig häufig sind hier autistische Kinder. Das apostolische Werk Regnum Christi hat übrigens begonnen, in Mexiko spezifische Rehabilitationszentren aufzubauen, die sich intensiv mit weitergehender Diagnostik und Therapie für Kinder mit frühkindlichen Hirnschäden und für autistische Kinder beschäftigen, die Centros de Rehabilitación infantil. Ich bin im psychiatrischen Bereich auch oft mit den Folgen familiärer Krisen konfrontiert. Große Probleme entstehen durch den Alkoholmißbrauch der Männer. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist gestört. Männliche Kinder werden bevorzugt, sie entwickeln sich zu Machos. Sie sind später nicht dazu in der Lage, Frustrationen zu ertragen. Beim leisesten Gegenwind laufen sie davon oder betrinken sich. Am Lohntag setzen viele Männer ihr Geld gleich in Alkohol um. Die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen wird nicht gefördert, denn Mädchen spielen hier keine große Rolle. In der Ehe ordnen sich die Frauen den Männern unter und nehmen ohne Gegenwehr Ungerechtigkeiten und Mißhandlungen hin."

„Das Selbstbewußtsein der Frauen müßte also gestärkt werden ..."

„Ja. Sie müßten darüber aufgeklärt werden, welche Rechte sie haben und wie sie sich zur Wehr setzen können. Ein Bildungsangebot für Mädchen wäre wichtig, damit sie später einen guten Beruf erlernen können. Es ist wichtig, ihre Persönlichkeitsentwicklung zu fördern. Dazu wären Initiativen von unten gut geeignet, die klein beginnen. Nur so kann man die Situation langfristig verbessern. Eine lange Anlaufzeit und Rückschläge muß man akzeptieren. Das ist übrigens bei Medical Mission Network ähnlich: Wir arbeiten langsam daran, Strukturen hier vor Ort aufzubauen. Ich hoffe auch auf die mexikanischen Studenten, die uns auf unseren Einsätzen begleiten. Viele von ihnen kommen wieder, wenn sie Zeit haben, und sind bei mehreren Einsätzen dabei. Vielleicht erkennen sie, daß sie hier gebraucht werden."

„Worauf legen Sie bei Ihrer Arbeit hier besonderen Wert?"

„Auf Beratung, denn Beratung ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Ich nehme mir viel Zeit, um den Patienten ihre Krankheiten und deren Ursache genau verständlich zu machen."

„Wir sind einmal im Jahr hier, die Patienten können Sie also nicht regelmäßig konsultieren. Wie kann da Kontinuität entstehen?“

„Meine Patienten wissen inzwischen, daß ich jedes Jahr hier bin, und kommen dann im Folgejahr zur Kontrolle. Außerdem gibt es zusätzlich regelmäßig Hilfseinsätze von amerikanischen und spanischen Gruppen, die eng mit unserer Organisation verbunden sind. Die Patienten haben auf diese Weise etwa drei Mal im Jahr die Möglichkeit, kostenlos Ärzte zu konsultieren, die ihnen eine gute Behandlung anbieten. Das ist schon ein guter Anfang."

„Was wünschen Sie sich für die Zukunft?“

"Damit die Menschen hier noch eine bessere gesundheitliche Versorgung bekommen können, möchten wir ein Netzwerk vor Ort aufbauen. Wir brauchen mexikanische Ärzte, die unsere Anliegen fortsetzen und sich für die Patienten einsetzen. Sie müßten zugleich Fürsprecher der Patienten sein und ihnen helfen, sich die Behandlung, die sie brauchen, zu erkämpfen und ihre Rechte durchzusetzen. Der Staat gewährt ihnen eigentlich das Recht auf medizinische Behandlung. Das nutzt aber nichts, solange das nur auf dem Papier gilt.“