Anfang des Jahres war es so weit: der erste Einsatz von Medical Mission Network in Tansania. Ein achtköpfiges Team aus Deutschland arbeitete zwei Wochen lang in dem Charlotte Hospital in der Ortschaft Sanya Juu sowie dem Dispensary St. Hildegard, einem Gesundheitszentrum im Massai-Gebiet. Fernando Millet Hassey war bei dem Einsatz dabei.
Fernando Millet Hassey ist in in Mexiko Stadt aufgewachsen, hat dort an der Anáhuac-Universität Medizin studiert und erste berufliche Erfahrungen gesammelt. Seit sechs Jahren arbeitet er als Arzt in Weiterbildung für Allgemeinmedizin im Kreis Steinfurt. In dem Interview erzählt er, welche Eindrücke er in Tansania gewonnen hat und was ihn bei dem Einsatz besonders bewegt hat.
Herr Millet Hassey, wie haben Sie von unseren medizinischen Einsätzen erfahren?
Fernando Millet Hassey: Von Medical Mission Network habe ich schon während meiner Studienzeit in Mexiko gehört. Ich habe in Mexiko-Stadt an der Anáhuac-Universität studiert, einer Universität der Legionäre Christi. Mein ganzes Studium über habe ich mich an Brigadas Médicas beteiligt – medizinischen Einsätzen in Mexiko, die von Studenten durchgeführt werden, zum Beispiel in kleinen Dörfern, oder auch bei dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010. Medical Mission Network haben wir damals als Vorreiter wahrgenommen … Aber ich selbst bin erst in Deutschland zu dieser Organisation gestoßen und erst hier mit Pater Bennet in Kontakt gekommen.
Sie haben also schon einige Erfahrung mit Einsätzen in Mexiko. Waren Sie dadurch auf Ihre Arbeit in Tansania gut vorbereitet?
Fernando Millet Hassey: Nun, in Tansania habe ich viele neue Erfahrungen gesammelt. Wir haben in einem Krankenhaus mitgearbeitet und mussten in die Abläufe dort erst hineinfinden. Denn vieles funktioniert dort anders, als ich es als Arzt von der Arbeit in Deutschland oder Mexiko gewohnt war. Die Ausstattung an Geräten ist viel spärlicher als in deutschen Kliniken, was sich auf die Arbeitsweise des medizinischen Personals auswirkt. Es muss viel mehr mit den Händen gearbeitet werden, Wissen und Erfahrung spielen eine große Rolle. Das führt übrigens oft zu guten Ergebnissen, es gilt eben auch dort: Wer heilt, hat Recht. Der Austausch mit den Kollegen in Tansania war sehr intensiv, sie haben sich sehr gefreut, an unseren Erfahrungen teilhaben zu können, waren offen und interessiert. Ich sehe dort viel Potential.
Sie haben im Charlotte Hospital in Sanya Juu gearbeitet. Wie viele Ärzte sind dort angestellt?
Fernando Millet Hassey: Es gibt dort nur einen Arzt, den Chefarzt, daneben sogenannte Clinical Officer und Assistant Medical Officer. Dazu gehören zum Beispiel die Ordensschwestern, die in der Klinik arbeiten. Sie haben zwar nicht Medizin studiert, aber durch ihre teilweise sogar jahrzehntelange Tätigkeit sehr viel Erfahrung und Kenntnisse erworben. Die Schwestern waren von unserer Zusammenarbeit mit ihnen, die sehr gut funktioniert hat, wirklich begeistert, und es war auch für mich eine schöne Erfahrung.
Wie haben Sie sich denn mit den Patienten verständigt?
Fernando Millet Hassey: Der behandelnde Arzt bzw. Medical Officer hat für uns ins Englische übersetzt. Wir waren im Grunde für die zweite Meinung da und haben mit dem Personal im Krankenhaus zusammengearbeitet. Wir haben dann zum Beispiel über Differentialdiagnosen, Verläufe und Behandlungsmöglichkeiten diskutiert, auf Englisch. Mit den Patienten konnte ich mich über Mimik und Gestik verständigen. Schwierig war es dabei für uns Ärzte manchmal, dass die Massai keinen Schmerz zeigen, das ist so in ihrer Kultur verankert.
Zeigen nur die Männer oder auch die Frauen keinen Schmerz?
Fernando Millet Hassey: Die Frauen auch nicht, und selbst die Kinder jammern sehr wenig. Ich habe zum Beispiel ein Kind mit einer Schlüsselbeinfraktur untersucht, das nicht geschrien hat …
Wie sind die Lebensverhältnisse der Patienten? Was haben Sie darüber erfahren?
Fernando Millet Hassey: Es herrscht eine sehr große Armut. Es fehlt den Menschen an Nahrungsmitteln und auch Trinkwasser. Die Natur ist nicht fruchtbar, sondern sehr trocken, und die Rinder, die eine wichtige Nahrungsquelle sind, sind oft halbverhungert. In den Massai-Siedlungen sind die Menschen oft nur Haut und Knochen. Was medizinische Behandlungen betrifft: Dazu haben die meisten schon aus finanziellen Gründen keinen Zugang, weil sie sich noch nicht mal ein Medikament leisten könnten, das nur ein paar Cent kostet.
Fernando Millet Hassey gibt den Führungskräften des Krankenhauses eine Fortbildung zum Thema Negotiation Basic Skill for Healthcare Professionals.
Unser Team in Tansania
Hatten Sie bei dem Einsatz ein besonders schönes oder beeindruckendes Erlebnis, von dem Sie erzählen möchten?
Fernando Millet Hassey Ja, ich hatte eine Patientin, die über Bauchschmerzen klagte. Es stellte sich heraus, dass sie in der 28. Woche schwanger war, und zwar mit Zwillingen. Die Frau brachte dann unmittelbar darauf bei uns in der Klinik ihre Kinder zur Welt, viel zu früh also. Darauf waren wir in diesem Moment gar nicht vorbereitet, und die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Babys oder beide sterben könnten, war sehr hoch. Denn Babys, die so früh zur Welt kommen, brauchen eigentlich intensivmedizinische Behandlung. Die Lage war also dramatisch, aber die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, lebten. Das eine Baby wog 1200 g, das andere 1400 g. Wir haben sie dann direkt in das Kilimandscharo-Krankenhaus gefahren, das bestausgestattete Krankenhaus der Region. Auf dem Weg dorthin mussten wir ihnen Sauerstoff geben, aber wir hatten auch nur eine Flasche Sauerstoff für die beiden Babys. So konnten wir ihnen nur abwechselnd Sauerstoff geben. Wir konnten sie lebendig in die Klinik bringen und haben später gehört, dass sie überlebt haben. Das hat uns alle sehr glücklich gemacht.
Noch eine letzte Frage: Würden Sie wieder an einem solchen Einsatz teilnehmen?
Fernando Millet Hassey: Ja, am liebsten sogar regelmäßig, obwohl die Flugkosten hoch sind. Bevor ich nach Tansania gereist bin, habe ich oft gedacht, dass ich gerne wieder an Einsätzen in Mexiko teilnehmen würde. Aber ein bisschen habe ich mein Herz nun auch in Tansania gelassen.
Vielen Dank für das Gespräch!