Beratung ist das Wichtigste – Interview mit Katharina Bücherl
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Katharina Bücherl, Assistenzärztin für Frauenheilkunde in Nürnberg, ist zum zweiten Mal bei einem Einsatz dabei. Sie ist im vierten Jahr ihrer Facharztausbildung.

Katharina, du hast hier sehr eingeschränkte Möglichkeiten: Es fehlt an Geräten, bei Untersuchungen musst du dich auf deine Hände verlassen. Was kannst du – als Gynäkologin – hier überhaupt machen?

Katharina Bücherl
Katharina Bücherl

Katharina Bücherl: Ich kann vor allem beraten, und das ist hier auch das Wichtigste. Die Patientinnen wissen sehr wenig über ihren Körper, über Krankheiten oder auch über den weiblichen Zyklus. Manchmal nehmen sie an sich selbst ganz normale Vorgänge wie Regelschmerzen wahr, verstehen sie aber nicht und können sie nicht einordnen. Sie sind dann deswegen verängstigt. Ich versuche sie darin zu bestärken, dass sie normal sind, und zwar so, wie sie sind. Oft fällt es ihnen aber schwer, das zu akzeptieren.

Warum können sie das nicht akzeptieren?

K. B.: Manche Frauen verstehen nicht, was ich ihnen erkläre. Oder sie rechnen nicht damit, dass mit ihnen alles in Ordnung ist. Denn von ihrem Umfeld oder der Familie werden sie oft in ihren Ängsten bestärkt. Ich habe Patientinnen mit Menstruationsbeschwerden, denen von der Mutter oder Schwester eingeredet wird, sie hätten Krebs. Zu ihrer Gesundheit und ihrem Körper haben viele Frauen ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits neigen sie dazu, sich ständig selbst zu beobachten. Der Gedanke, krank zu sein, quält sie oft. Andererseits fehlt das Verständnis für die eigene gesundheitliche Situation, das Wissen. Dass eine Patientin über ihren Körper oder ihre Krankheit Bescheid weiß, ist eine Ausnahme. Die Ärzte hier teilen den Patienten nur selten mit, unter welchen Krankheiten sie eigentlich leiden. Meist bekommen sie nur Medikamente, aber keine Informationen.

Es gibt in Mexiko eine medizinische Grundversorgung, die vom Staat garantiert wird. Wie schätzt du dieses System ein – funktioniert es?

Katharina mit ihrer Übersetzerin Adriana Leal
Katharina mit ihrer Übersetzerin Adriana Leal

K. B.: Meine Patientinnen bekommen auf keinen Fall die Versorgung, die sie brauchen. Nach meinem ersten Einsatz war ich schockiert über die medizinischen Verhältnisse hier. Ich habe Patientinnen gesehen, die seit Jahren unter vermeidbaren Nachwirkungen von Operationen leiden. Bei Verdacht auf Brustkrebs wird ewig gewartet, bis eine Biopsie gemacht wird. Maßnahmen, die nicht unbedingt lebensrettend sind, werden immer wieder aufgeschoben. Ein großes Problem ist es, dass hier nichts in einer Hand liegt: Eine Frau mit gynäkologischen Problemen muss zum Radiologen gehen, um eine Ultraschalluntersuchung zu bekommen, und ins Labor, damit ihr Blut abgenommen wird. Mit den Unterlagen, die sie bekommt, muss sie zum Gynäkologen. Oft können die Frauen dann den Gynäkologen nicht bezahlen. Oder sie bekommen diese Unterlagen und können nichts damit anfangen. Ich hatte schon einige Patientinnen, die mich gebeten haben, solche Untersuchungsergebnisse auszuwerten. Oft kommen auch Patientinnen, die wegen Bauchschmerzen Antibiotika verschrieben bekommen hatten. Doch meist liegt gar keine Infektion vor, sondern ihre Beschwerden sind eine Folge von Fehlernährung. Ich mache dann eine Ernährungsberatung mit ihnen.

Fehlernährung kommt hier oft vor, für gesundheitliche Probleme sind meist die Lebensweise der Patienten und das soziale Umfeld verantwortlich. Mit was für sozialen Problemen haben deine Patientinnen zu kämpfen?

K. B.: Sie leiden sehr unter dem Alkoholismus der Männer. Unter Alkoholeinfluss sind diese oft gewalttätig. Oft erfahre ich erst im Laufe des Gesprächs, dass eine Patientin Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. Die Frauen müssen erst langsam Vertrauen fassen. Eine etwa 40-jährige Frau erzählte mir, dass sie mit 12 Jahren vergewaltigt worden war – sie hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Ich fühle mich da oft hilflos. Eine deutsche Frau würde sofort eine Psychotherapie bekommen, aber was geschieht mit diesen Frauen hier?

Wie könnte man die Situation der Frauen denn verbessern?

K. B.: Die Ursache für die familiären Probleme ist Armut. Die Männer haben keine Arbeit, fangen an zu trinken und neigen zu Gewalt. Sie brauchen die Möglichkeit, genug Geld für ihre Familie zu verdienen.

Die meisten Frauen hier arbeiten nicht ...

K. B.: Die meisten sind Hausfrauen. Sie bekommen schon sehr früh Kinder, etwa mit 15 oder 16 Jahren. Im Durchschnitt haben die Frauen hier vielleicht vier bis fünf Kinder, manche ältere haben bis zu 16 Kinder, jüngere Frauen weniger, oft nur ein bis zwei. Die jüngste Mutter, die ich hatte, war erst 12 Jahre alt. Das Erschreckende war, dass ihr beim Kaiserschnitt sofort eine Spirale eingesetzt wurde, damit sie nicht wieder schwanger wird. Ein solcher Eingriff ist unter diesen Umständen medizinisch überhaupt nicht vertretbar.

Was geschieht mit dem Säugling einer so jungen Mutter?

K. B.: Da springen oft die Großeltern ein. Andererseits ist es erwünscht, dass die Mädchen früh heiraten, damit sie nicht weiter von der Familie versorgt werden müssen.

Kannst du abends abschalten, wenn du zum Beispiel vergewaltigte Frauen unter deinen Patientinnen hattest?

K. B.: Ja, das lernt man mit der Zeit. Es berührt mich sehr, aber ich nehme es nicht mit nach Hause.

Wie fühlst du dich hier? Ist der Einsatz für dich sehr anstrengend?

K. B.: Ja, aber ich bin trotz der großen Anstrengungen ausgeglichen. Ich habe das Gefühl, dass ich hier Menschen glücklich machen kann und ihnen Impulse geben kann, damit sie in die richtige Richtung gehen.