San Francisco ist ein kleines Dorf in Quintana Roo. Von den 1300 Einwohnern sind 99 Prozent Maya. Als wir letzte Woche dort gearbeitet haben, erwarteten uns schon am frühen Morgen viele Patienten. Es war einer unserer längsten Arbeitstage bei diesem Einsatz. Ich habe mit dem Bürgermeister von San Francisco, Severiano Kokom Ipuk, über die Situation im Dorf gesprochen.
MMN: Wie ist hier die Gesundheitsversorgung? Gibt es im Dorf einen Arzt?
Severiano Kokom Ipuk: Nein. Es gibt nur ein staatliches Gesundheitszentrum in 7 Kilometer Entfernung.
MMN: Fährt von San Francisco ein Bus dorthin?
Severiano Kokom Ipuk: Nein, die nächste Bushaltestelle ist genauso weit entfernt. Man kommt hier nicht so leicht weg. Im Dorf gibt es nur sechs Autos. Wenn man krank ist, muss man also erst mal zu dem Gesundheitszentrum hinkommen. Und dann ist es überhaupt nicht sicher, dass man drankommt. Denn es gibt dort nur einen Arzt. Er behandelt 10 Personen pro Tag, und es kommen auch Leute aus anderen Dörfern. Aus einer staatlichen Klinik in Chetumal kommt einmal im Monat ein Wagen mit drei Ärzten. Die behandeln höchstens 10 bis 15 Patienten. Sie bringen auch nur sehr wenige Medikamente mit. Wir brauchen dringend einen Arzt, der dauerhaft hier ist. Wenn es einen Notfall gibt, ist das für uns sehr schwierig, man kann gar nichts machen.
MMN: Wo ist das nächste Krankenhaus?
Severiano Kokom Ipuk: Es gibt ein Krankenhaus in Kantulnikin, in 80 Kilometer Entfernung. Dort gehen die schwangeren Frauen aus dem Dorf für die Geburt hin. Wenn es Komplikationen gibt, müssen sie aber nach Cancún oder Valladoid – das ist noch weiter weg.
MMN: Wie viele Kinder haben die Familien hier im Durchschnitt?
Severiano Kokom Ipuk: Im Durchschnitt haben sie sechs Kinder, manche haben aber auch zehn oder zwölf. Ich habe 7 Kinder und 26 Enkel. Nur einer meiner Söhne ist noch nicht verheiratet.
MMN: Was macht man hier, wenn man eine Operation braucht?
Severiano Kokom Ipuk: Dann muss man nach Cancún oder Mérida. Man muss dort übernachten und vorher den Transport organisieren, und das alles muss man selbst bezahlen. Auch die Behandlungen, denn fast niemand hat hier eine Krankenversicherung.
MMN: Haben Sie denn eine?
Severiano Kokom Ipuk: Nein, auch nicht. Das ist alles sehr kompliziert hier, mit den Überweisungen zu den Ärzten und der Bürokratie. Fast niemand versteht, an welche Stelle man sich wenden und welches Formular man ausfüllen muss. Wenn eine Operation sehr teuer wird, kann man Unterstützung bekommen. Dann muss man nur ein Drittel oder ein Viertel der Kosten selbst übernehmen. Aber dafür braucht man viele Genehmigungen, das ist ein langes Verfahren. Wie sollen die Leute das denn verstehen? Zum Großteil sind sie über die Möglichkeiten, die sie hätten, gar nicht informiert.
MMN: Ist die schlechte Gesundheitsversorgung das größte Problem hier im Dorf?
Severiano Kokom Ipuk: Es ist ein großes Problem. Aber es macht mir auch Sorgen, dass die jungen Leute keine Zukunftsperspektive haben. Die Schule geht hier nur bis zur neunten Klasse. Wer einen höheren Abschluss will, kann neuerdings Fernunterricht bekommen, es gibt Kurse im Fernsehen. So kann man sich auf den Abschluss vorbereiten. Für die meisten geht es aber nicht weiter, wenn sie die 9. Klasse beendet haben. Sie bekommen keine Ausbildung. Es gibt keine Berufsschulen oder Unternehmen, die Leute einstellen. Dann gehen die jungen Leute als ungelernte Arbeiter nach Cancún. Dort in der Hotelzone verdienen sie mehr als hier. Sie fangen als Küchenhilfe oder Reinigungskraft an, und einigen gelingt es, sich hochzuarbeiten. Immer weniger junge Erwachsene bleiben in der Gegend. Denn sie könnten nur auf den Feldern arbeiten, und das ist vollkommen unterbezahlt. Es gibt hier keine Möglichkeiten, hier herrscht Armut. Der Reiz zu gehen ist für die jungen Leute hoch.
MMN: Wie viel verdienen die Arbeiter in der Landwirtschaft?
Severiano Kokom Ipuk: Das lohnt sich gar nicht, es ist ein täglicher Überlebenskampf. Die Leute leben von der Hand in den Mund. Und sie arbeiten, bis sie nicht mehr können – eine Rente bekommen sie nicht. Mit der Feldarbeit verdienen sie etwa die Hälfte des Mindesteinkommens, das ohnehin schon niedrig ist. Die Leute helfen sich viel gegenseitig, wegen dieser wirtschaftlichen Not, anders geht es gar nicht. Egal, um was es geht, man ist hier sehr viel füreinander da. Und sie bekommen viel Kraft aus ihrem Glauben.
MMN: Hier im Dorf gibt es eine katholische Kirche. Sind die meisten katholisch?
Severiano Kokom Ipuk: Ja, die Mehrheit ist katholisch. Es gibt außerdem vier Familien, die Zeugen Jehovas sind. Wir würden uns wünschen, dass ein Pfarrer fest hier im Ort lebt. Aber unser Pfarrer, Padre Alphonso, muss 60 Dörfer betreuen.
MMN: Eine andere Frage: Was macht denn der mexikanische Staat für das Dorf?
Severiano Kokom Ipuk: Familien können Zuschüsse für Baumaterialien bekommen. Wenn sie statt einer Hütte ein Haus aus Beton haben wollen, bekommen sie Unterstützung.
MMN: Haben hier alle Strom, Wasser und Telefon?
Severiano Kokom Ipuk: Strom und Wasser schon. Einige haben ein Mobiltelefon, aber der Empfang ist hier sehr schlecht.
MMN: Und was sind hier die Hauptnahrungsmittel?
Severiano Kokom Ipuk: Vor allem Mais und auch Früchte. Nur wenige Leute halten hier Tiere, wie Hühner oder Schweine. Früher, vor 20 Jahren, war das noch anders, da hatten viele Familien eigene Nutztiere. Aber die Maispreise sind so sehr gestiegen, dass wir uns kein Tierfutter mehr leisten können. Den Mais, den wir kaufen, brauchen wir für uns selbst. Der höhere Maispreis führt dazu, dass es für viele immer schwerer ist, genug Nahrungsmittel zu bekommen. Wir bauen zwar auch Mais für den Eigengebrauch an. Aber es gibt nur eine Maisernte im Jahr, und wenn die schlecht ausfällt, haben wir große Probleme.
MMN: Was wünschen sie sich vor allem für ihr Dorf?
Severiano Kokom Ipuk: Dass unsere jungen Leute mehr Möglichkeiten haben. Dass sie eine Zukunft haben, gute Arbeit finden und sich weiterbilden können.