Als wir am Freitagmorgen in Cozumel mit unserer Arbeit begannen, sprach mich eine Frau an. Sie war besorgt, weil so viele Patienten warteten. Sie fürchtete, nicht überall dranzukommen, denn sie wollte mit verschiedenen Ärzten sprechen. Ich erklärte ihr, daß wir nicht gehen, bevor alle Patienten behandelt worden sind. Sie dankte mir erleichtert. Am späten Nachmittag entdeckte ich sie in der Warteschlange vor dem Platz unseres Psychiaters, Dr. Klein, wieder. „Sie warten ja immer noch,“ sagte ich zu ihr. Maria, so hieß sie, erzählte mir, daß sie schon beim Allgemeinmediziner und bei der Hautärztin war. Dr. Klein wolle sie ihren elfjährigen Sohn vorstellen. Der Junge sei unruhig und unkonzentriert, passe in der Schule nicht auf und interessiere sich nur für Horrorfilme. Es sei wie eine Sucht – Verbote nutzten nichts, der Junge trickse sie immer wieder aus, um Videos anschauen zu können. „Ich bin sehr froh, daß die Ärzte aus Deutschland da sind“, sagte Maria. Denn sie habe sonst keine Gelegenheit, Hilfe zu bekommen oder über ihre Probleme zu sprechen. Einen Dermatologen, der die ärmeren Einwohner behandelt, gebe es zum Beispiel auf der Insel gar nicht, sondern erst wieder auf dem Festland. Und eine Tagesreise dorthin kann sich Maria nicht leisten. Es blieb ihr nichts Anderes übrig als zu warten, bis wir auf die Insel kamen.
Während es im wirtschaftlich starken, reichen Norden Mexikos eine medizinische Versorgung auf höchstem Niveau gibt, herrscht im Süden, in strukturschwachen Gegenden und in ländlichen Regionen ein gravierender Ärztemangel. Dies zeigt auch Marias Fall: Da sie nicht krankenversichert ist, wie viele Mexikaner, die bedürftig sind oder im Niedriglohnsektor arbeiten, ist sie auf die staatlichen Gesundheitsprogramme angewiesen, die für die ärmere Bevölkerung entwickelt wurden. Die mexikanische Verfassung sichert zwar jedem Einwohner ein Recht auf Gesundheitsschutz zu, und grundlegende Gesundheitsleistungen sollen für jeden frei verfügbar sein. Doch in der Praxis funktioniert dieses System nicht überall. Oft müssen die Einwohner sogar für das Allernotwendigste selbst aufkommen. Denn die staatlichen Einrichtungen bieten nicht immer ausreichende medizinische Leistungen an – mal fehlt es an Personal, mal an medizinischen Geräten, kostenlos verfügbaren Medikamenten oder Krankenbetten. In Mexiko verläuft eine Spaltung mitten durch das Land: Der Gegensatz zwischen Arm und Reich, die soziale Ungleichheit sind weitaus größer, als es sich Westeuropäer meist vorstellen können. Dieses Auseinanderklaffen der Lebensbedingungen offenbart sich auch im Gesundheitssystem, und zwar, wie wir immer wieder erkennen müssen, in einer drastischen Schärfe. Wir können nur versuchen, die Not der Menschen hier zu lindern. Was sie brauchen, sind vor allem Ärzte in ihrer Nähe, die sie erreichen können. Deshalb kommen wir zu ihnen.