Heute waren wir in Tihosuco, einem größeren Maya-Dorf 80 km nördlich von Felipe Carrillo Puerto. Nirgendwo anders sah ich bisher so deutlich, wie sehr sich die Arbeitsbedingungen, die unsere Ärzte vorfinden, von jenen in Deutschland unterscheiden. Der Sprech- und Behandlungsraum ist eine Palapa, eine zu zwei Seiten offene Hütte mit Palmendach. Die Tische der Ärzte stehen eng beieinander, der Platz reicht kaum aus – Dr. Gerhard Klein stellte seinen Tisch außerhalb, im Schatten eines Baums auf. Jeder Arzt ist umringt von Patienten, Helfern und Übersetzern.
Im hinteren Bereich der Palapa wurden mit Laken zwei Kabinen abgetrennt. Natürlich ist es nicht ruhig in diesem Behandlungssaal, man hört viele Stimmen und Sprachen. Und es ist kaum möglich, kurz eine Pause zu machen: Denn die Wartenden stehen in einer langen Schlange in der Mittagssonne, es gibt für sie nur wenige Plätze auf Holzbänken.
Aber das ist noch nicht alles: Auf die Geräte, die ihnen in Deutschland zur Verfügung stehen, müssen die Ärzte hier verzichten. Sie müssen auf ihre Augen, Hände und diagnostischen Fähigkeiten vertrauen. Sie verschreiben die Medikamente, die wir mitgebracht haben. Manchmal stoßen wir recht schnell an die Grenzen des Erreichbaren: z. B. wenn wir für einen Patienten, der schlecht sieht, keine passende Brille haben.
Unser Team ist nach Mexiko gereist, um zu helfen und zu heilen. Nicht immer ist das möglich: Heute kam ein Mann zu uns, der vor vier Jahren auf dem rechten Auge erblindet war – nach so langer Zeit kann man nichts mehr für ihn tun. Am Nachmittag war Dr. Berthold Egervári, Arzt für Allgemeinmedizin, auf einem Hausbesuch. Ein alter Mann hatte ihn gebeten, nach seinem kranken Sohn zu sehen. Er führte ihn zu seinem Zuhause, einer Hütte ohne Strom und fließendes Wasser. Hinter einem Vorhang lag in einer Hängematte der Sohn des Mannes, er hatte ein zerfurchtes, eingefallenes Gesicht, sein Leib war hart und aufgedunsen, die Beine voll mit Wasser.
Dr. Egervári diagnostizierte Leberzirrhose im Endstadium – der Mann hat wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben. „In Deutschland wäre er viel früher zu einem Arzt gegangen”, sagt Dr. Egervári. Vielleicht hätte man ihm helfen können, wenn es eine bessere Gesundheitsfürsorge gäbe. Dies zeigt auch: Die Hilfe für die Menschen hier darf mit unserem Einsatz nicht beendet sein, es muss viel mehr „Medical Missions“ und Betreuung vor Ort geben.
Heute haben wir mehr als 400 Menschen behandelt. Als alle schon müde waren, kamen immer noch neue Patienten. Auch das ist anders als in Deutschland: Das Ende der Sprechstunde ist nie absehbar.